Reflexionen

Wie schreibe ich einen ehrlichen blogtext ohne mich verletzlich zu fühlen?

Wie schreibe ich einen ehrlichen blogtext ohne mich verletzlich zu fühlen?

Warum mich das Thema beschäftigt

Manchmal sitze ich vor einem leeren Bildschirm, denke an all die kleinen Geschichten aus meinem Alltag und frage mich: Wie viel davon darf ich teilen, ohne dass es sich anfühlt, als würde ich mein Innerstes zur Schau stellen? Ehrlichkeit ist mir wichtig – sie ist das Herzstück meines Blogs. Gleichzeitig möchte ich mich nicht verletzlich oder ausgeliefert fühlen. Diese Spannung begleitet mich seit den ersten Texten, die ich veröffentlichte. In diesem Artikel möchte ich meine Strategien und Gedanken dazu teilen, wie ich einen ehrlichen Blogtext schreibe, ohne dabei meine Grenze zur verletzlichen Offenbarung zu überschreiten.

Was bedeutet „ehrlich“ für mich?

Für mich ist Ehrlichkeit nicht gleichbedeutend mit vollständiger Enthüllung. Ehrlich sein heißt, die eigene Perspektive zu zeigen, Gefühle und Beobachtungen zu benennen und dabei die Wahrheit meiner Erfahrung zu respektieren. Es geht nicht darum, jede intime Einzelheit auszuplaudern, sondern darum, mit Integrität zu schreiben – also so, dass der Text mit dem übereinstimmt, was ich tatsächlich denke und fühle.

Vier Fragen, die mir beim Schreiben helfen

Bevor ich einen Text veröffentliche, stelle ich mir vier einfache Fragen. Diese wirken wie ein innerer Filter und helfen mir, den richtigen Ton zu treffen:

  • Warum will ich das erzählen? Ist es, um zu verarbeiten, zu informieren, zu inspirieren oder zu verbinden?
  • Wem könnte es schaden? Gibt es Beteiligte, die sich verletzt oder bloßgestellt fühlen könnten?
  • Was bleibt privat? Welche Details behalte ich für mich, weil sie nur für mich relevant sind?
  • Wie formuliere ich es so, dass es ehrlich bleibt, aber respektvoll? Gibt es neutralere Worte oder Metaphern, die meine Erfahrung dennoch deutlich machen?

Diese Fragen sind kein moralisches Urteil, sondern ein praktisches Werkzeug. Sie erlauben mir, ehrlich zu sein und gleichzeitig Verantwortung für meinen Text zu übernehmen.

Grenzen setzen – persönlich und schriftlich

Gute Grenzen sind wie die Rahmung eines Bildes: Sie geben Halt und lassen das Motiv wirken, ohne dass es überstrapaziert wird. Ich habe gelernt, dass Grenzen setzen nicht das Gegenteil von Mut ist, sondern dessen Voraussetzung. Konkret heißt das für mich:

  • Nur Aspekte teilen, die mir gehören: Ich schreibe über meine Gefühle, meine Wahrnehmungen und meine Entscheidungen – nicht über das Innenleben anderer Menschen.
  • Kontext statt Details: Manchmal kann ein überblickender Kontext ehrlicher wirken als minutiöse Schilderungen. Die Essenz bleibt, die Intimität bleibt privat.
  • Zeitliche Distanz: Wenn ein Erlebnis noch zu frisch ist, warte ich. Zeit hilft dabei, die eigene Sicht zu ordnen und verletzungsfreie Formulierungen zu finden.

Techniken, die mir beim Formulieren helfen

Es gibt praktische Schreibtechniken, die mir erlauben, ehrlich zu sein, ohne mich verletzlich zu fühlen:

  • Die Ich-Perspektive bewusst nutzen: Ich schreibe aus meiner Sicht, was die Verantwortung für Aussagen klar bei mir lässt. „Ich habe so empfunden“ ist anders als „Das ist so“.
  • Metaphern und Bilder: Eine passende Metapher kann Gefühle deutlich machen, ohne ins Detail zu gehen. Statt alle Gespräche wiederzugeben, beschreibe ich oft ein Bild oder eine Szene.
  • Fokussierte Anekdoten: Kurze, prägnante Anekdoten transportieren Emotionen besser als ausschweifende Biografien.
  • Fragen stellen statt urteilen: Wenn ich meine Gedanken als Fragen formuliere, lade ich Leserinnen und Leser zur Reflexion ein und nehme Druck von mir selbst.

Wie ich mit Angst vor Reaktion umgehe

Die Angst vor negativen Reaktionen gehört zum Schreiben im öffentlichen Raum. Sie kann lähmen, aber sie kann auch ein Signal dafür sein, dass etwas wichtig ist. Meine Strategien:

  • Testleserinnen: Ich gebe Texte zuerst vertrauten Freundinnen oder einer kleinen Leserschaft – manchmal nutzt mir ein Beta-Leser wie eine Kollegein den Blickwinkel, den ich selber nicht sehe.
  • Kommentare moderieren: Für Diskussionen setze ich klare Regeln und greife nur ein, wenn nötig. Ein respektvoller Austausch bereichert, Hetze nicht.
  • Emotionales Backup: Wenn ein Text besonders persönlich ist, bespreche ich ihn vorher mit Menschen, die mich unterstützen. Das beruhigt und gibt mir Rückhalt.

Praktische Beispiele aus meinem Alltag

Neulich schrieb ich über einen Spaziergang, in dem eine Begegnung mit einer älteren Frau alte Erinnerungen an meine Grossmutter wachrief. Ich hätte die ganze Familiengeschichte ausbreiten können. Stattdessen schrieb ich die Szene, das Gesicht der Frau, den Geruch von Lindenblüten und meine innere Reaktion. Die Leserinnen fühlten sich eingeladen und die Familiengrenzen blieben unangetastet.

Ein anderes Mal wollte ich über Scheitern schreiben. Anstatt Namen, Daten und Schuldige zu nennen, legte ich den Fokus auf die Lektionen, die ich daraus zog: Resilienz, das Neudefinieren von Erfolg und die kleinen Schritte zurück auf die Strasse. Ehrlich, ohne Waffen zu ziehen.

Tools und Ressourcen, die ich nutze

Manchmal helfen digitale Tools, um Distanz zu gewinnen und den Text zu polieren:

  • Schreib-Apps: Ich nutze Scrivener für die Strukturierung längerer Texte und Bear für schnelle Notizen, weil das Schreiben dort intuitiv bleibt.
  • Sprachaufnahmen: Wenn Gefühle schwer zu fassen sind, spreche ich sie zuerst in mein Smartphone. Das gibt mir Rohmaterial, das ich später zu einer respektvollen Formulierung glätten kann.
  • Stopp-Regeln: Eine einfache Regel: Wenn ein Satz mit „Das ist privat, aber…“ beginnt, stoppe ich. Meistens löschte ich dann die Fortführung.

Leserinnen und Leser als Gesprächspartnerinnen

Ich schreibe nicht nur für mich, sondern auch für dich. Ein ehrlicher Text schafft Verbindung, lädt zum Mitfühlen ein und öffnet Raum für Austausch. Deshalb formuliere ich bewusst Fragen am Ende von Abschnitten, ohne mich komplett zu öffnen. So entsteht Dialog, ohne dass ich meine Grenzen überschreite.

Fehler zulassen

Nichts ist peinlicher als der Versuch, perfekt verletzlich zu wirken. Ehrlichkeit darf holprig sein. Manchmal entdecke ich nach dem Publizieren, dass eine Formulierung besser hätte ausfallen können. Dann korrigiere ich sie, erkläre meine Gedanken in einem Update oder lasse den Fehler stehen und nehme die Reaktionen als Lernstoff. Authentizität bedeutet nicht Perfektion.

Was ich auf keinen Fall tue

Ein paar Tabus, die ich mir gesetzt habe:

  • Keine Indiskretionen über andere: Niemandes Geheimnis ist meine Plattform.
  • Keine Selbstinstrumentalisierung: Ich schreibe nicht über schwierige Themen, nur um Klicks zu bekommen.
  • Keine Dramatisierung um Aufmerksamkeit: Emotionen dürfen echt sein, sollten aber nicht künstlich hochgeschaukelt werden.

Ein letzter Gedanke vor dem Veröffentlichen

Bevor ich auf „Veröffentlichen“ klicke, stelle ich mir noch einmal die wichtigste Frage: Würde ich diesen Text aussprechen, wenn jemand daneben stünde? Wenn die Antwort ja ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Text ehrlich und verantwortungsvoll zugleich ist. Wenn nein, schadet ein wenig Nacharbeit selten.

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